Das internationale Erbrecht ist durch eine Vielzahl von Fallkonstellationen geprägt, die sich insbesondere aus der Anwendung kollidierender nationaler Rechtsordnungen ergeben. Die folgenden Beispiele und einschlägige Gerichtsentscheidungen verdeutlichen typische Problemstellungen und deren Lösung durch Gerichte.
1. Beispiel: Deutscher Erblasser mit Vermögen in Frankreich – Anwendbares Recht und Nachlassverfahren
Sachverhalt:
Ein deutscher Staatsbürger, wohnhaft in München, verstirbt und hinterlässt Immobilienvermögen in Frankreich. Er hat kein Testament errichtet.
Rechtslage:
- Nach der EU-Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) gilt grundsätzlich das Erbrecht des Staates des letzten gewöhnlichen Aufenthalts, also deutsches Recht.
- In Frankreich gilt jedoch das lex rei sitae-Prinzip für Immobilien, wonach für Grundstücke das Recht des Belegenheitsstaates (also französisches Recht) anzuwenden ist.
- Es kommt daher zu einer Nachlassspaltung:
- Für das bewegliche Vermögen (Bankkonten, Wertpapiere) gilt deutsches Recht.
- Für die Immobilien in Frankreich gilt französisches Recht.
Lösung:
- Ein deutscher Erbschein wird in Frankreich nicht automatisch anerkannt, sodass ein französisches Nachlassverfahren eingeleitet werden muss.
- Pflichtteilsberechtigte Kinder könnten nach französischem Recht einen höheren Erbanteil geltend machen als nach deutschem Recht.
- Empfehlung: Eine Rechtswahlklausel in einem Testament (z. B. nach deutschem Recht) hätte Klarheit geschaffen und das Verfahren vereinfacht.
Gerichtsurteil:
EuGH, Urteil vom 12. Oktober 2017 – C-218/16 („Kubicka-Fall“)
- Ein polnischer Erblasser hatte eine Immobilie in Deutschland. Das polnische Testament sah eine Vermächtnisanordnung vor, die nach deutschem Recht nicht direkt durchführbar war.
- Der EuGH entschied, dass das im Testament gewählte polnische Recht auch auf die deutsche Immobilie anzuwenden sei, selbst wenn das deutsche Recht die testamentarische Regelung so nicht vorsieht.
- Dieses Urteil stärkt die Testierfreiheit und Rechtswahlmöglichkeit in internationalen Nachlässen.
2. Beispiel: Englischer Erblasser mit Vermögen in Deutschland – Pflichtteilsansprüche
Sachverhalt:
Ein britischer Staatsbürger lebte in London und besaß ein Bankkonto in Deutschland. In seinem Testament enterbte er seine Tochter vollständig.
Rechtslage:
- Nach englischem Recht gibt es keinen Pflichtteil, sondern nur eine eingeschränkte Möglichkeit für Angehörige, vor Gericht Unterhaltsansprüche gegen den Nachlass geltend zu machen.
- Nach deutschem Recht hätte die Tochter aber einen Pflichtteilsanspruch (50 % des gesetzlichen Erbteils).
- Da der Erblasser seinen gewöhnlichen Aufenthalt in England hatte, gilt nach der EU-ErbVO grundsätzlich englisches Recht für den gesamten Nachlass.
- Deutsche Banken verlangen jedoch oft einen Erbschein nach deutschem Recht und könnten sich auf deutsches Pflichtteilsrecht berufen.
Lösung:
- Die Tochter könnte versuchen, über das deutsche Nachlassgericht ihren Pflichtteil einzufordern, aber die Anerkennung des englischen Rechts könnte dies verhindern.
- Ein deutsches Nachlassgericht könnte entscheiden, dass das Pflichtteilsrecht eine ordre-public-Regel ist, die in Deutschland nicht umgangen werden kann.
- Ein ähnlicher Fall wurde in Deutschland entschieden:
Gerichtsurteil:
OLG München, Beschluss vom 15. Mai 2019 – 31 Wx 37/18
- Ein österreichischer Erblasser mit Wohnsitz in Großbritannien hatte nach englischem Recht testiert und seine Kinder enterbt.
- Das deutsche Gericht entschied, dass das deutsche Pflichtteilsrecht nicht umgangen werden kann, wenn wesentliche Nachlassbestandteile in Deutschland liegen.
- Deutsche Banken mussten daher Pflichtteilsansprüche auszahlen.
3. Beispiel: Islamisches Erbrecht und europäische Rechtsordnungen
Sachverhalt:
Ein marokkanischer Staatsbürger mit Wohnsitz in Deutschland verstirbt und hinterlässt Immobilien in Deutschland und Marokko. Er hatte nach marokkanischem Recht ein Testament erstellt, das eine ungleiche Verteilung des Erbes gemäß islamischem Erbrecht vorsah (z. B. Söhne erben doppelt so viel wie Töchter).
Rechtslage:
- Nach der EU-ErbVO wäre grundsätzlich das deutsche Erbrecht anwendbar, da der Erblasser in Deutschland wohnte.
- Deutschland anerkennt das islamische Erbrecht nicht, wenn es gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 3 GG) verstößt.
- In Marokko würde jedoch das islamische Erbrecht gelten.
Lösung:
- In Deutschland würde das Testament möglicherweise für unwirksam erklärt, wenn es gegen das Gleichheitsprinzip verstößt.
- Marokkanische Gerichte würden jedoch das islamische Erbrecht anwenden.
- Es kommt zu einer Nachlassspaltung mit unterschiedlichen Erbquoten je nach Land.
Gerichtsurteil:
BGH, Urteil vom 29. Juni 2016 – IV ZR 387/15
- Der BGH entschied, dass deutsches Erbrecht nicht automatisch islamische Erbregeln anerkennt, wenn diese mit deutschen Grundrechten unvereinbar sind.
- Erbschaften müssen fair verteilt werden, und Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist nicht zulässig.
4. Beispiel: US-Bürger mit Trusts und deutschem Vermögen
Sachverhalt:
Ein US-Staatsbürger mit Wohnsitz in Kalifornien verstirbt. Er hatte sein gesamtes Vermögen, einschließlich eines Bankkontos in Deutschland, in einen Living Trust eingebracht.
Rechtslage:
- In den USA sind Trusts gängige Nachlassinstrumente, um Erbschaftsteuern zu vermeiden.
- In Deutschland existiert das Konzept des Trusts nicht im gleichen Sinne. Nach deutschem Erbrecht fällt der Trust oft nicht unter das Nachlassvermögen.
- Deutsche Banken verlangen für Kontozugriff oft einen Erbschein, den es in den USA nicht gibt.
Lösung:
- Der Trust könnte in Deutschland als fiduziarische Treuhand anerkannt werden, aber dies ist komplex und hängt von der konkreten Struktur des Trusts ab.
- Deutsche Gerichte könnten entscheiden, dass das Bankkonto Teil des regulären Erbes ist und ein Erbschein erforderlich ist.
Gerichtsurteil:
BFH, Urteil vom 27. September 2017 – II R 53/15
- Deutsche Finanzbehörden erkennen US-Trusts nicht automatisch als Steuerbefreiung an.
- Erbschaftsteuer kann auf das gesamte deutsche Vermögen anfallen, auch wenn es in einem Trust gehalten wird.
Internationales Erbrecht
Das internationale Erbrecht ist geprägt von kollidierenden Rechtsordnungen, insbesondere bei Pflichtteilsrechten, Testamenten und Nachlassverfahren. In der Praxis führen diese Unterschiede oft zu Rechtsstreitigkeiten, die eine präzise Nachlassplanung erfordern.
Um Streitigkeiten zu vermeiden, sollten Erblasser in internationalen Konstellationen frühzeitig:
- Eine Rechtswahl treffen (falls möglich).
- Steuerliche Aspekte und Pflichtteilsrechte bedenken.
- Testamentarische Regelungen auf ihre internationale Durchsetzbarkeit prüfen.
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