Die Erbrechte der Schweiz, Österreichs und Deutschlands weisen trotz gemeinsamer Wurzeln im römisch-gemeinen Recht teils erhebliche Unterschiede auf. Nachfolgend erfolgt eine umfassende Gegenüberstellung zentraler Aspekte, die Besonderheiten des schweizerischen und österreichischen Erbrechts im Vergleich zum deutschen Erbrecht herausarbeitet.
1. Gesetzliche Erbfolge
Deutschland
- Nach dem Parentelsystem (§§ 1924 ff. BGB): Erben erster Ordnung (Abkömmlinge), zweiter Ordnung (Eltern und deren Abkömmlinge) usw.
- Ehegatten erben neben Verwandten (vgl. § 1931 BGB).
Schweiz
- Ähnlich dem deutschen Parentelsystem (Art. 457 ff. ZGB), aber:
- Keine Aufteilung in „Ordnungen“, sondern in „Stämme“.
- Kein Eintrittsrecht (Repräsentation) bei lebenden Vorfahren eines Stammes, anders als in Deutschland.
- Ehegatten erhalten immer mindestens 1/4 des Nachlasses.
Österreich
- Seit der Reform 2015 stärker am deutschen Modell orientiert (§§ 731 ff. ABGB).
- Parentelsystem mit drei Ordnungen.
- Pflegevermächtnis (§ 677 ABGB): Pflegende Angehörige können ein gesetzliches Vermächtnis erhalten.
- Ehegatte erbt neben Verwandten und erhält zudem das Vorausvermächtnis.
2. Pflichtteilsrecht
Deutschland
- Pflichtteilsberechtigte: Abkömmlinge, Ehegatten, Eltern (§ 2303 BGB).
- Pflichtteil = Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
- Nur Geldanspruch, kein Realanspruch.
Schweiz
- Pflichtteilsrecht heißt „Pflichtteilsschutz“ (Art. 471 ZGB).
- Pflichtteil beträgt:
- Abkömmlinge: 1/2 des gesetzlichen Erbteils,
- Eltern (nur subsidiär): 1/2,
- Ehegatte: 1/2.
- Seit ZGB-Revision 2023: Pflichtteile reduziert, Eltern nicht mehr pflichtteilsgeschützt.
Österreich
- Pflichtteilsberechtigte (§ 762 ABGB): Abkömmlinge, Ehegatte/Partner.
- Pflichtteil = Hälfte des gesetzlichen Erbteils.
- Seit 2015: Möglichkeit, Pflichtteil in Raten zu zahlen oder aufzuschieben, wenn wirtschaftlich notwendig.
3. Testierfreiheit
Deutschland
- Weitreichende Testierfreiheit, aber Pflichtteilsrecht schränkt sie ein.
Schweiz
- Grundsätzlich hohe Testierfreiheit, aber Pflichtteilsrechte wirken als Schranken.
- Neu seit 2023: Mehr Spielraum durch Reduktion der Pflichtteile.
Österreich
- Ebenfalls hohe Testierfreiheit mit Pflichtteilsschutz.
- Möglichkeit der Pflichtteilsentziehung nur in klar geregelten Fällen (§ 768 ABGB).
4. Ehegattenerbrecht
Deutschland
- § 1931 BGB: Erbteil abhängig vom Güterstand.
- Im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft: Ehegatte erhält zusätzlich ein Viertel als pauschalen Zugewinnausgleich.
Schweiz
- Ehegatte erhält entweder:
- 1/2 bei Erben der 1. Parentel oder
- 3/4 bei Erben der 2. Parentel (Art. 462 ZGB).
- Zusätzlich: güterrechtlicher Anspruch vor Erbteilung aus dem Güterstand (Errungenschaftsbeteiligung).
Österreich
- Ehegatte erbt:
- Neben Kindern: 1/3,
- Neben Eltern: 2/3.
- Vorausvermächtnis: Recht auf Wohnung und Hausrat (§ 758 ABGB).
5. Erbverzicht und Pflichtteilsverzicht
Deutschland
- Erbverzicht (§§ 2346 ff. BGB): Vertraglich, notariell beurkundet.
- Pflichtteilsverzicht möglich.
Schweiz
- Art. 495 ZGB: Erbverzicht durch öffentlich beurkundeten Vertrag.
- In der Praxis oft in sog. Erbverträgen geregelt.
Österreich
- § 551 ABGB: Erb- und Pflichtteilsverzicht möglich, gerichtlich oder notariell zu beurkunden.
6. Formen letztwilliger Verfügungen
Deutschland
- Eigenhändiges oder notarielles Testament (§§ 2231 ff. BGB).
- Erbvertrag ebenfalls möglich.
Schweiz
- Drei Formen: Eigenhändiges, öffentliches und mündliches Nottestament (Art. 498–506 ZGB).
Österreich
- Vielfältige Testamentsformen:
- Eigenhändig,
- Fremdhändig mit Zeugen,
- Notariell,
- Mündlich in Notsituationen (§§ 578 ff. ABGB).
7. Erbantritt / Annahme / Ausschlagung
Deutschland
- Erbe wird automatisch mit dem Erbfall (§ 1922 BGB).
- Ausschlagung binnen 6 Wochen (§ 1944 BGB).
Schweiz
- Annahme erfolgt durch konkludentes Handeln oder ausdrückliche Erklärung.
- Ausschlagung binnen 3 Monaten (Art. 567 ZGB).
Österreich
- Erbe muss durch gerichtlichen Antrag antreten (Verlassenschaftsverfahren).
- Antrittserklärung ist zwingend.
- Ausschlagung innerhalb von 3 Monaten (§ 549 ABGB).
8. Erbverträge
Deutschland
- § 1941 BGB: Nur zwischen Ehegatten oder Verlobten möglich.
- Notariell beurkundet.
Schweiz
- Art. 494 ff. ZGB: Sehr weit verbreitet. Zulässig auch mit Dritten.
- Flexibler und praxisrelevanter als im deutschen Recht.
Österreich
- § 602 ABGB: Nur zwischen Ehegatten oder Verlobten.
- Notariell und eingeschränkt.
9. Besonderheiten
Thema | Schweiz | Österreich |
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Haftung des Erben | Annahme = unbeschränkte Haftung (wie Dtl.), Ausschlagung vermeidet Haftung. | Mit Einantwortung (gerichtlicher Erbantritt) verbunden, daher geordneter Übergang. |
Landwirtschaftsrecht | Erbrechtlich privilegierter „Heimgutsbetrieb“ (Art. 619a ZGB). | Anerbengesetz (z. B. Höferecht): Spezialregelungen für landwirtschaftliche Betriebe. |
Stiftungswesen | Bedeutende Rolle bei Nachlassgestaltung. | Zunehmend bei Nachfolgeplanung genutzt. |