Internationales Erbrecht

Das internationale Erbrecht regelt, welches nationale Erbrecht zur Anwendung kommt, wenn Erbfälle mit grenzüberschreitenden Bezügen auftreten. Dies kann etwa der Fall sein, wenn der Erblasser mehrere Staatsangehörigkeiten besitzt, in einem anderen Land lebt oder Vermögenswerte in verschiedenen Ländern hat. Die Regelungen variieren erheblich zwischen den Staaten, insbesondere hinsichtlich der Rechtswahl, der Erbfolge, der Pflichtteilsrechte und der steuerlichen Behandlung.


1. Grundlagen des internationalen Erbrechts

1.1. Kollisionsrechtliche Grundlagen

Die zentrale Frage im internationalen Erbrecht ist, welches nationale Erbrecht zur Anwendung kommt. Dies wird durch das sogenannte Kollisionsrecht bestimmt. Die wichtigsten Prinzipien sind:

  • Anknüpfung an die Staatsangehörigkeit: In einigen Ländern (z. B. Italien, Spanien) gilt grundsätzlich das Erbrecht des Staates, dessen Staatsangehörigkeit der Erblasser hatte.
  • Anknüpfung an den letzten gewöhnlichen Aufenthalt: In anderen Staaten (z. B. Deutschland, Frankreich, EU-Erbrecht) wird das Recht des Staates angewendet, in dem der Erblasser zuletzt gelebt hat.
  • Prinzip der Rechtswahl: Viele Länder erlauben, dass der Erblasser sein Erbrecht durch Testament oder Erbvertrag wählt (z. B. nach EU-Erbrechtsverordnung, in der Schweiz, USA, Kanada).

1.2. EU-Erbrechtsverordnung (VO 650/2012)

Die Europäische Erbrechtsverordnung (EU-ErbVO) gilt für Erbfälle ab dem 17. August 2015 in fast allen EU-Staaten (außer Irland und Dänemark). Sie bestimmt:

  • Grundsätzlich ist das Recht des letzten gewöhnlichen Aufenthalts anwendbar.
  • Eine Rechtswahl zugunsten des eigenen Staatsangehörigkeitsrechts ist möglich.
  • Einheitliche Regelungen für die Anerkennung und Vollstreckung von Erbentscheidungen innerhalb der EU.

1.3. Unterschiede zwischen kontinentaleuropäischem Erbrecht und Common Law

  • Kontinentaleuropäisches Erbrecht (z. B. Deutschland, Frankreich, Spanien) basiert meist auf einem zwingenden Erbrecht mit Pflichtteilsrechten für nahe Angehörige.
  • Common Law-Länder (z. B. USA, England) ermöglichen eine weitgehende Testierfreiheit ohne strenge Pflichtteilsrechte.

2. Erbrecht in ausgewählten europäischen Ländern

2.1. Deutschland

  • Grundlage: Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)
  • Anknüpfung: Gewöhnlicher Aufenthalt, Rechtswahl möglich.
  • Pflichtteilsrecht: Mindestanteil für nahe Angehörige (Kinder, Ehepartner).
  • Erbschaftsteuer: Progressive Steuer, abhängig vom Verwandtschaftsgrad.

2.2. Frankreich

  • Grundlage: Code Civil
  • Anknüpfung: Gewöhnlicher Aufenthalt, Rechtswahl möglich.
  • Pflichtteil: Kinder haben zwingende Mindestanteile (z. B. 50 % bei einem Kind, 66 % bei zwei Kindern).
  • Besonderheit: Nuda Proprietas & Usufruct – überlebende Ehegatten können lebenslanges Nutzungsrecht am Erbe erhalten.

2.3. Schweiz

  • Grundlage: ZGB (Zivilgesetzbuch)
  • Anknüpfung: Staatsangehörigkeit, mit Möglichkeit der Rechtswahl.
  • Pflichtteil: Ehepartner und Kinder haben gesetzlich geschützte Mindestanteile.
  • Besonderheit: Schweiz akzeptiert angelsächsische Trusts unter bestimmten Bedingungen.

2.4. Italien

  • Grundlage: Codice Civile
  • Anknüpfung: Staatsangehörigkeit, mit Möglichkeit der Rechtswahl.
  • Pflichtteil: Geschützt für Ehegatten und Kinder.
  • Besonderheit: Notariatszwang bei Testamenten oft erforderlich.

3. Erbrecht in wichtigen außereuropäischen Staaten

3.1. USA

  • Grundlage: State Law (je nach Bundesstaat unterschiedlich)
  • Anknüpfung: Gewöhnlicher Aufenthalt (Domicile-Prinzip).
  • Pflichtteil: Keine strikten Pflichtteilsrechte außer in wenigen Staaten.
  • Besonderheit: Nutzung von Living Trusts, um Nachlasssteuer zu vermeiden.

3.2. Vereinigtes Königreich (England & Wales)

  • Grundlage: Common Law & Inheritance Act
  • Anknüpfung: Wohnsitzprinzip (Domicile).
  • Pflichtteil: Keine Pflichtteilsrechte, aber Unterhaltsansprüche durch Angehörige möglich.
  • Besonderheit: Hohe Flexibilität durch Trusts.

3.3. China

  • Grundlage: Zivilgesetzbuch
  • Anknüpfung: Gewöhnlicher Aufenthalt.
  • Pflichtteil: Enge Angehörige haben Vorrang, aber kein strenges Pflichtteilsrecht.
  • Besonderheit: Staatliches Erbrecht, falls keine Erben vorhanden sind.

3.4. Russland

  • Grundlage: Russisches Zivilgesetzbuch
  • Anknüpfung: Staatsangehörigkeit.
  • Pflichtteil: Kinder, Ehepartner und Eltern erhalten Pflichtteile.
  • Besonderheit: Starker Einfluss staatlicher Institutionen bei Erbschaftsangelegenheiten.

3.5. Vereinigte Arabische Emirate

  • Grundlage: Schari’a & staatliche Gesetze
  • Anknüpfung: Islamisches Erbrecht gilt für Muslime.
  • Pflichtteil: Strikte Quoten für Erben nach islamischem Recht.
  • Besonderheit: Nicht-Muslime können ausländisches Recht wählen, aber nur eingeschränkt.

4. Besondere Herausforderungen im internationalen Erbrecht

  1. Kollision von Rechtsordnungen – Unterschiedliche Regelungen führen oft zu Konflikten (z. B. Pflichtteilsrecht vs. Testierfreiheit).
  2. Doppelbesteuerung – Erbschaftsteuer kann in mehreren Ländern anfallen, Doppelbesteuerungsabkommen sind nicht überall vorhanden.
  3. Trusts und Nachlassplanung – Besonders in Common Law-Staaten beliebt, aber in vielen kontinentaleuropäischen Ländern schwer anerkennbar.
  4. Nachlassverfahren & Vollstreckung – Internationale Nachlassgerichte und Behörden erschweren die Erbabwicklung.

5. Das internationale Erbrecht

Das internationale Erbrecht ist komplex und erfordert eine genaue Prüfung der anwendbaren Rechtsordnung. Durch Instrumente wie die EU-Erbrechtsverordnung oder Nachlassplanung mit Trusts und Testamenten kann die Abwicklung erleichtert werden. Dennoch bleiben Unterschiede, insbesondere zwischen dem kontinentalen Pflichtteilsrecht und der angelsächsischen Testierfreiheit, eine Herausforderung für grenzüberschreitende Erbfälle.

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